Schriftzug: Praxisanleitung

Zwei aufgeregte Auszubildende stehen heute vor mir. Wir haben gemeinsam Praxisanleitung. Da ist Tamar, Auszubildende an der Universität Leipzig, im ersten Lehrjahr in der Generalistik, 20 Jahre alt und Rebecca, Auszubildende bei der SAH Leipzig, im ersten Lehrjahr in der Generalistik, 25 Jahre alt. Thema für heute ist „Reichen von Nahrung“ und „Lagerung“. Wir sitzen uns gegenüber und besprechen kurz den Ablauf für die Anleitung. Spätestens jetzt schauen sie sich nervös kichernd an. Ich möchte, dass die Auszubildenden sich auf die andere Seite des Pflegeverhältnisses versetzen. Am Ende jedes Theorieblockes bekommen beide Auszubildenden die Möglichkeit, am eigenen Körper zu spüren, wie es sich anfühlt, Essen gereicht zu bekommen und im Bett gelagert zu werden. In meinen Augen ist dies sehr wichtig für das Verständnis für unsere Bewohner. Jeder Bewohner hat seine ganz eigenen Bedürfnisse, die wir als Pflegende berücksichtigen müssen.

Im ersten Theorieblock wird besprochen, wie es für den Bewohner am angenehmsten ist, wenn ihm Nahrung gereicht wird, so dass der Bewohner sich wohl und verstanden fühlt. Wir sprechen über Fehler beim Reichen und wie sich dadurch der Bewohner fühlen könnte. Aber das ist eben nur Theorie. Jetzt wird es spannend für die Auszubildenden. Tamar sitzt am Tisch und bekommt die Augen verbunden. Sie soll ein Gespür dafür bekommen, wie ein blinder Bewohner sich fühlt, wenn ihm Nahrung gereicht wird. Rebecca setzt sich neben sie und beginnt, ihr einen Pudding zu reichen. Das klappt noch recht problemlos. Das reichen eines Törtchens gestaltet sich schon schwieriger. Rebecca informiert Tamar, was sie jetzt tun wird und nimmt mit der Gabel die kleinen Stückchen auf. Tamar wirkt mit einem Mal unsicher und dreht immer wieder den Kopf weg. Am Ende mit gutem Zureden klappt es doch ganz gut. Dann werden die Rollen getauscht und Tamar reicht Rebecca das Essen. Hinterher besprechen wir die SituationBeide Auszubildende berichten von ihren Gefühlen und Empfindungen. 

„Es ist unglaublich, wie unsicher man auf einmal ist. Man fühlt sich total ausgeliefert und hat Angst, was kommt jetzt auf mich zu. Am meisten hatte ich Angst davor, dass mir mit der Gabel in die Lippe gestochen wird. Deshalb konnte ich mich bei dem Törtchen nicht entspannen.“

„Bei mir war das größte Problem, dass ich das Gefühl hatte, dass Tamar auf der falschen Seite von mir sitzt. Ich habe sie gefragt, ob sie sonst immer mit dem anderen Arm Essen reicht und sie bejahte das. Ich habe ihre Unsicherheit irgendwie gespürt. Aber was mir bewusst geworden ist, es ist extrem verunsichernd, wenn man nicht weiß, was jetzt passiert und vor allem, was einem in den Mund geschoben wird. Es ist unglaublich wichtig, den Bewohner über sein Handeln und zu informieren. Vor allem, was er jetzt zu essen bekommt."

Unser nächstes Thema dreht sich um die Lagerung. Wir sprechen über Kinästhetik und Lagerungsmöglichkeiten bei verschiedenen Krankheitsbildern. Dann durften beide Auszubildende sich abwechselnd in ein Pflegebett legen und sollten sich gegenseitig positionieren. Schon während der Übung äußerte Rebecca: „Oh, das ist aber unbequem. Das würde ich keine zehn Minuten aushalten.“ Also musste neu positioniert werden. Endlich war eine bequeme druckentlastende Position erreicht. Auch hier besprachen wir hinterher die Gefühle und Empfindungen. Tamar erzählte, dass es sehr unangenehm ist, wenn man „falsch“ liegt. Sie würde nicht schlafen können, wenn sie in einer für sie unerträglichen Position liegen müsste. Und auch hier bestätigten mir beide Auszubildenden, wie wichtig es ist, den Bewohner über mein Tun zu informieren und vor allem auch nicht ruckartig, sondern langsam seine Arbeit auszuführen.

Beim Abschlussgespräch stellten beide Auszubildende fest, dass es sehr gut ist, wenn man mal „die andere Seite“ im Pflegeprozess kennenlernt. Man fühlt sich besser in die Bewohner hinein und kann manches Handeln des Bewohners besser verstehen. Der Wunsch der Auszubildenden nach weiteren Praxisanleitungen dieser Art wird auf jeden Fall umgesetzt.

Fotos & Text von Praxisanleiterin Sylvia Wittkuhn